Design-in von Open-Frame-Netzteilen als Standardkomponenten optimal gestalten

Elektronik 03-2022 – Stromversorgung - Open-Frame-Netzteile

Design-in optimal gestalten

Open-Frame-Netzteile sind Standardkomponenten, die in sehr viele OEM Systeme wandern, welche aus einer Steckdose versorgt werden. Obwohl sie funktional vollständig und relativ einfach zu verwenden sind, gibt es dennoch einige Dinge, die Ingenieure beim Design-in beachten müssen.

(Bild: Song_about_summer/stock.adobe.com)

In der Vergangenheit war eine der ersten Fragen im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, sich für eine Stromversorgung zu entscheiden, die Frage: selber entwickeln und fertigen oder kaufen? Der Grund dafür ist, daß es zumindest im Prinzip nicht schwierig ist, eine oder mehrere Einheiten einer simplen Stromversorgung für unter 100 W zu entwerfen und zu bauen. In der Praxis ist die Situation jedoch weitaus komplexer und vielschichtiger, denn eine entsprechende Planung und Entwicklung erfordert mehrere Aspekte:

➔Die Spezifikationen sind unter allen Betriebsbedingungen, einschließlich hoher und niedriger Netzspannung sowie transientem Verhalten, über den gesamten Temperaturbereich einzuhalten.

➔Die erforderlichen Schutzfunktionen wie Überspannungsschutz, Unterspannungsabschaltung und thermische Abschaltungen müssen vorhanden sein.

➔Die vielen komplexen weltweiten Vorschriften für Sicherheit, Effizienz und Ruhestrom müssen verstanden und beachtet werden.

➔Die verschiedenen Anforderungen an Schock- und Vibrationsfestigkeit sind einzuhalten.

➔Ein Plan zur Prüfung, Verifizierung und Zertifizierung der Leistungsparameter muß vorhanden sein.

In der Realität ist es daher selbst für ein Team aus erfahrenen Ingenieuren eine respektable Herausforderung, ein Design in angemessener Zeit zu akzeptablen Vorlaufkosten und Entwicklungsaufwänden (NRE – Non-Recurring Engineering cost) erfolgreich zu erstellen – inklusive Stücklisten, Produktionshochlauf, Tests und Qualifizierung.

Andererseits: Selbst wenn sich die Anforderungen nicht mit einer Standard-Stromversorgung erfüllen lassen, bieten die meisten Anbieter einen Anpassungsservice an, bei dem ein Standardgerät so modifiziert wird, daß es den individuellen Anforderungen entspricht und gleichzeitig die zahlreichen technischen und gesetzlichen Anforderungen erfüllt.

Ohne oder mit Chassis

Eine Open-Frame-Stromversorgung ist die Branchenbezeichnung für eine reine Platinenkonstruktion, die als einzelnes komplettes Bauteil funktioniert – wie die der LCE80-Familie von XP Power (Bild 1).

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Bild 1: Bei den offenen 80-W-Netzteilen der Serie LCE80 sind alle erforderlichen Komponenten auf einer einzigen Platine untergebracht. (Bildquelle: XP Power)

Sie wird in ein Endgerät eingebaut, das sowohl die physikalische als auch die elektrische Schutzhülle für die Stromversorgung darstellt.

Derartige Netzteile lassen sich flexibel integrieren, bieten hervorragende Leistungen, erfüllen gesetzliche Normen und Vorschriften und sind kosteneffiziente Lösungen. Dadurch kann sich das Entwicklungsteam mehr auf den Rest des Systemdesigns und dessen Differenzierung konzentrieren.

Eine andere, weit verbreitete Bauform ist das U-Chassis-Netzteil, bei dem eine Open-Frame-Stromversorgung in ein U-förmiges Gehäuse aus Aluminium eingebaut ist (Bild 2).

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Bild 2: Das U-Kanal-Netzteil VCS100US12 für 100 W verfügt über eine abnehmbare Schutzabdeckung. (Bildquelle: XP Power)

Ein gutes Beispiel ist das 100-W-Gerät VCS100US12 von XP Power. Das Chassis bietet dem Endgerätehersteller mehr Möglichkeiten, das Netzteil in sein endgültiges System einzubauen, und enthält häufig eine abnehmbare Abdeckung, die elektrischen und physischen Schutz bietet und zur Luftzirkulation perforiert ist. Auch wenn ein Open-Frame-Netzteil vollständig und einsatzbereit ist, sind noch zusätzliche Überlegungen nötig zur elektrischen Sicherheit bzw. zu gesetzlichen Vorschriften, zur thermischen Leistung und zu Grenzwerten sowie zur Installation und Elektro-Magnetischen Verträglichkeit (EMV).

Elektrische Sicherheit und Konformität

Benutzer von Open-Frame-Netzteilen müssen die Anforderungen an Luft- und Kriechstrecken beachten. Die Luftstrecke (Clearance) ist der kürzeste Abstand über die Luft zwischen zwei leitenden Teilen, während die Kriechstrecke (Creepage) der kürzeste Abstand entlang der Oberfläche eines festen isolierenden Materials zwischen zwei leitenden Teilen ist (Bild 3).

Bild 3: Bei der Integration ins System müssen Mindestabstände für die Luftstrecke, den kürzesten Abstand über Luft zwischen zwei leitenden Teilen, sowie die Kriechstrecke, den kürzesten Abstand entlang der Oberfläche eines festen isolierenden Materials zwischen zwei leitenden Teilen, eingehalten werden. (Bild: Altium)

Die erforderlichen Mindestwerte für diese beiden Strecken hängen von der Versorgungsspannung sowie von den Betriebsbedingungen ab, zum Beispiel von der zu erwartenden Verschmutzung durch Staub, Feuchtigkeit und andere Partikel in der Luft, die die Hochspannungsknoten umgeben oder auf der Oberfläche zwischen ihnen liegen. Stromversorgungen werden auch in verschiedene IEC-Klassen eingeteilt, die sich nach der Endanwendung richten:

➔Klasse I: Der Schutz des Benutzers vor Stromschlägen wird durch eine Kombination aus Isolierung und Schutzerde erreicht.

➔Klasse II: Der Schutz des Benutzers vor Stromschlägen wird durch zwei Isolierungsebenen erreicht – entweder doppelt oder verstärkt. Ein System der Klasse I erfordert einen Abstand von 3 mm oder 4 mm zwischen jedem geerdeten Metallteil und jedem Teil der Primärseite der Stromversorgung, je nachdem, ob es sich um eine industrielle oder medizinische Endanwendung handelt. Eine medizinische Endanwendung kann zusätzliche Isolatoren um die offene Netzteilbaugruppe erforderlich machen; auch benötigen Klasse-II-Netzteile möglicherweise größere Kriech- und Luftstrecken.

Bei Verwendung eines Netzteils der Klasse I ist dessen Erdung ein integraler Bestandteil des elektrischen Systems und muß daher sicher mit der Schutzerde des Geräts verbunden sein.

Außerdem ist die Baugruppe wahrscheinlich an mehr als einer Stelle mit Erde zu kontaktieren, was sich auf die Störabstrahlung und die Störempfindlichkeit auswirkt. Dazu weiter unten mehr.

Sowohl Open-Frame- als auch U-Chassis-Netzteile verfügen über eine integrierte Sicherung; für Anwendungen in der Medizintechnik sind zwei Sicherungen nötig. In der Regel sind die Sicherungen fest in die Stromversorgung verbaut und lassen sich nicht vor Ort austauschen, da der einzige Grund für das Auslösen (Öffnen) einer Sicherung ein Ausfall der Stromversorgung ist, die vor der erneuten Verwendung des Systems repariert oder ersetzt werden muß. Darüber hinaus kann es zusätzliche Anforderungen für systemweite Sicherungen zum Schutz vor Problemen mit Verbindungskabeln und -anschlüssen sowie anderen Schaltkreisen geben, die nicht mit der Stromversorgung zusammenhängen.

Wärmemanagement

Verlustwärme ist ein bekanntes Problem in allen elektronischen Systemen, da sie die Hauptursache für Komponentenverschleiß und streßbedingte Ausfälle ist, einschließlich Brüchen aufgrund von Temperaturschwankungen.

Viele Netzteile wie zum Beispiel die Serie LCE80 von XP Power arbeiten mit einem eingangsseitigen Netzspannungsbereich von 90 V bis 305 V, wobei selbst bei einer niedrigen Netzspannung von 90 V die volle Ausgangsleistung von 80 W zur Verfügung steht.

Der Wirkungsgrad liegt bei fast 90 Prozent, was bedeutet, daß nur 8 W von der Stromversorgung als Verlustwärme abgeführt werden müssen; die restlichen 72 W stehen dem zu versorgenden System zur Verfügung. Alle Mitglieder der LCE80-Serie messen 101,6 mm × 50,8 mm × 27,9 mm.

Der Betriebstemperaturbereich beträgt -40 °C bis +70 °C, wobei die volle Leistung von -30 °C (-40 °C bei 230 V Eingangsspannung) bis +50 °C zur Verfügung steht. Die berechnete mittlere Zeit zwischen zwei Ausfällen (MTBF – Mean Time Between Failures) beträgt 300.000 Stunden nach MIL-HDBK-217F.

Alle Geräte der Serie erfüllen die zahlreichen relevanten EMV-Normen, einschließlich (aber nicht beschränkt auf) EN 55032 Klasse B für leitungsgebundene und abgestrahlte Emissionen; EN 55035, EN 61547 und EN 61000-4-2/3/4/5/6/8/11 für Störfestigkeit; EN 61000-3-2 Klasse C für 50 W Last und darüber.

Die Sicherheitszulassungen umfassen CB IEC 62368-1 (ITE), IEC 60950-1 (ITE), UL 62368-1 (ITE), TÜV EN 62368-1 (ITE), EN 61347 (Beleuchtung) und UL 8750 (Beleuchtung).

Der Wirkungsgrad ist die entscheidende Größe, da sie bestimmt, wie die anfallende Verlustwärme zu managen ist.

Open-Frame-Netzteile lassen sich mit passiver Konvektion, aktiver Zwangskühlung (Lüfter) oder einer Kombination aus beidem kühlen. Viele Entwickler ziehen es vor, Netzteile zu wählen, die so spezifiziert sind, daß sie nur mit passiver Luftkühlung auskommen und keinen Lüfter verwenden, und zwar aus einer Reihe von Gründen:

➔Es spart direkte Stücklistenkosten und reduziert die Montagezeit des Endprodukts.

➔Der Lüfter wird als potenzielle Fehlerquelle eliminiert, denn bei Ausfall des Lüfters kann es zu einer Überhitzung kommen und die Lebensdauer des Netzteils erheblich verkürzen.

➔Es werden Probleme im Zusammenhang mit der Steuerung der Lüftergeschwindigkeit und des Betriebs vermieden, die normalerweise auf der Erfassung der Umgebungstemperatur basieren.

➔Das Endgerät ist offensichtlich leiser, was in vielen Situationen ein wichtiger Faktor ist, beispielsweise in der Medizintechnik.

➔Es wird vermieden, daß der Endnutzer durch Blockieren des Lüfterein- oder -auslasses unbeabsichtigt Überhitzungsprobleme verursacht. Kurz gesagt, auf einen Lüfter zu verzichten erhöht die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems erheblich, vereinfacht die mechanische Konstruktion und reduziert die Kosten. Um lüfterlos arbeiten zu können, müssen die Entwickler im Datenblatt des Netzteils nachsehen, ob eine Zwangsbelüftung erforderlich ist, um die angegebenen Spezifikationen zu erfüllen, oder ob passive Konvektion ausreicht.

Derating und Lebensdauer

Zu dieser Prüfung gehört die Überprüfung der Höchsttemperatur, für die der Hersteller die Einhaltung aller Spezifikationen garantiert, sowie der Leistungsminderungskurve (Derating). Diese gibt an, wie stark die Ausgangsleistung bei Überschreiten einer bestimmten Temperatur abzunehmen hat. Ein gut konzipiertes Netzteil kann die Nennleistung bis zu einer Umgebungstemperatur von +50 °C und bei Eingangsspannungen bis hinunter zu 90 V zur Verfügung stellen. Im Gegensatz dazu werben einige Produkte mit einer »Spitzenleistung«, müssen die Ausgangsleistung aber bei niedriger Netzspannung und bei Umgebungstemperaturen ab +40 °C drosseln. Bei der LCE80-Serie garantiert der Hersteller die volle Leistung bis zu +50 °C, wobei die Leistung bis zu einer Höchsttemperatur von +70 °C linear auf 50 Prozent zu drosseln ist (Bild 4).

Bild 4: Die Leistungsminderungskurve (Derating) für die LCE80-Serie zeigt, daß diese Netzteile ihre 80 W bis zu +50 °C beibehalten und dann auf 40 W bei einer maximalen Betriebstemperatur von +70 °C abfallen. (Bild: XP Power)

Die Einbaulage, die Ausrichtung, der verfügbare Platz, die Belastung und die umgebenden Teile sowie die Luftkühlung sind bei jeder Anwendung einzigartig. Somit ist es wichtig, die Temperatur am Open-Frame-Netzteil zu modellieren und zu messen und nicht an einer anderen Stelle im Systemgehäuse, da es zu lokalen Wärmenestern (Hotspots) kommen kann.

Ein entscheidender Faktor bei der Bestimmung der geschätzten Lebensdauer eines Netzteils ist eine Lebensdauerkurve.

Dieser Parameter basiert auf der Temperatur der Elektrolytkondensatoren, die einzigen Teile mit einem Verschleißmechanismus. Alle Berechnungen der Lebensdauer von Elektrolytkondensatoren beruhen auf der Arrhenius-Gleichung, wonach sich die Reaktionsgeschwindigkeit pro zehn Kelvin Temperaturerhöhung verdoppelt und damit die Lebensdauer halbiert (Bild 5).

Bild 5: Die thermischen Leistungsminderungskurven (Derating) für zwei typische Elektrolytkondensatoren zeigen, daß sich die Lebensdauer pro 10 K Temperaturanstieg entsprechend der Arrhenius-Gleichung (unten) halbiert. (Bild: XP Power)

Ein guter Anhaltspunkt für die Lebensdauer läßt sich ermittelt, indem man die Gehäusetemperatur des Kondensators mißt und die Arrhenius-Gleichung auf die gemessene Temperatur und Auslegungslebensdauer anwendet.

Elektro-Magnetische Verträglichkeit

Open-Frame-Stromversorgungen erfordern in der Regel zwei und manchmal drei Montagepunkte, die mit der Erde verbunden sein müssen, um die EMV-Normen zu erfüllen. In einem System der Klasse I ist einer dieser Anschlüsse für die Schutzerde erforderlich und befindet sich an der Eingangsseite der Baugruppe. Über diesen Anschluß werden auch die Kondensatoren für die Gleichtaktfilterung zwischen Phase und Erde sowie zwischen Nullleiter und Erde angeschlossen – auch als Y-Kondensatoren bezeichnet (Bild 6).

Bild 6: Die Y-Kondensatoren dienen als Gleichtaktfilter und werden auf der Eingangsseite des Netzteils verwendet,

um die Leitung und den Nullleiter mit der Erde zu verbinden. (Bild: www.blogranya.blogspot.com)

Diese Kondensatoren dämpfen zusammen mit den Gleichtaktdrosseln die leitungsgebundenen Störungen, die durch schnelle Spannungsänderungen in der Leistungsstufe des Netzteils entstehen.

Auch ausgangsseitig sind entsprechende Filterkondensatoren nötig.

Um die EMV-Konformität bei Open-Frame-Netzteilen zu gewährleisten, ist es notwendig, diese Punkte jeweils miteinander zu verbinden. Die Punkte, die zu erden oder zusammenzuschalten sind, sind in der Regel im Datenblatt des Netzteils angegeben. Am Besten lassen sich diese Punkte verbinden, indem das Netzteil auf einer geerdeten Metallplatte montiert wird (Bild 7).

Bild 7: Die in der Zeichnung mit dem Erdungssymbol gekennzeichneten Montagebohrungen müssen bei Anwendungen der Klasse I mit der Sicherheitserdung verbunden sein oder bei Anwendungen der Klasse II miteinander verbunden werden. (Bild: XP Power)

Diese Platte sollte mit nichts anderem verbunden sein, denn ihre Aufgabe besteht darin, einen niederohmigen Pfad mit geringen parasitären Elementen zu schaffen, um die Filterkondensatoren mit Masse zu verbinden.

Montagebohrungen, die mit dem Erdungssymbol gekennzeichnet sind, sind bei Anwendungen der Klasse I mit Schutzerde oder bei Anwendungen der Klasse II miteinander zu verbinden.

Generell sollten alle Eingangs- und Ausgangskabel des Netzteils getrennt voneinander verlegt sein, und es sollte vermieden werden, daß sie sich in der Nähe der offenen Baugruppe befinden.

Dadurch lassen sich mögliche Probleme minimieren, bei denen abgestrahlte Störungen aus der Stromversorgung in das Endgerät einkoppeln können.

Fazit

Entwickler können ihren Implementierungsprozeß verkürzen und verbessern, indem sie sich auf eine einzige Familie von Open-Frame-Netzteilen mit unterschiedlichen Nennwerten für Spannung und Strom konzentrieren, während alle anderen Faktoren unverändert bleiben. Dies vereinfacht die Montage, die Erdung, die EMV und die thermische Analyse, die Überlegungen zur Leistungsreduzierung, die Berechnungen des Leistungsumfangs, die physischen Verbindungen und die Verkabelung.